Ich treffe Tim in seinem Büro. Er schlägt vor, dass wir trotz des schönen Wetters lieber drinnen sprechen sollten. Bevor ich fragen kann warum, höre ich die Antwort durch das noch geöffnete Fenster. Eine Hafenbarkasse kündigt mit lautem Signalton ihre Überfahrt der Fleetkreuzung. Mir klingeln leicht die Ohren. Tim schließt das Fenster und wir beginnen über Fußball zu sprechen.
Wie bist du zum Fußball gekommen?
Ich vermute dass mein Vater bzw. meine Eltern Schuld daran sind. Mein Vater ist selber früher zum HSV gegangen und hatte auch lange Zeit eine Dauerkarte und war regelmäßig jedes Wochenende, klassisch jeden Sonnabend um 15 Uhr 30, nicht zuhause. Und dann habe ich halt gefragt, wo Papa ist. Er war ja nicht da. Und dann hieß es „Papa geht zum Fußball“. Dann habe ich natürlich auch abends immer die Sportschau um 18 Uhr geschaut. Die NDR2 Bundesligakonferenz im Radio habe ich auch sehr gerne gehört.
In der F-Jugend habe ich dann selber mit dem Fußballspielen begonnen, als meine Eltern mich gefragt haben, ob ich denn nicht auch mal selber spielen wolle. Ich habe dann aber nur bis zur D-Jugend gespielt. Und so bin ich eigentlich zum Fußball gekommen.
Und welche Position hast du gespielt?
Ich habe als linker Verteidiger oder linker Läufer, wie man damals noch sagte, gespielt.
Sehr schön! Und wann bist du dann das erste Mal ins Stadion gegangen?
Mein erster Stadionbesuch war Anfang September, genau gesagt am 04. September 1982. HSV gegen den Karlsruher SC. Endstand 4:0. Das war wahnsinnig aufregend. So viele Leute auf einem Haufen. Und dabei war das Stadion wahrscheinlich nicht mal voll. Das war schon ein Erlebnis, aber vom selber Fußball habe ich gar nicht so viel mitbekommen. Ich weiß nur, dass die Eintrittskarte von damals jahrelang am Pinnbrett in meinem Kinderzimmer hing. Mein Vater hatte mit rotem Filzer das Ergebnis und die Torschützen auf die Karte geschrieben. Als Erläuterung: Ich bin Jahrgang 1974 und war damals 8 Jahre alt.
Neben den ganzen sportlichen Aspekten, was bedeutet Fußball für dich eigentlich?
Grundsätzlich ist Fußball ein Sport, den ich mehr sehr gerne angucke. Es ist auch ein Sport, den prinzipiell jeder spielen kann. Jeder kann rumlaufen und gegen eine runde Kugel treten. Es verbindet Leute. Man muss im Sommer nur mal in den Stadtpark gehen und gucken, was da los ist. Sofern das Wetter gut ist. Aber selbst bei schlechtem Wetter hast du dort dann Leute die auf der Wiese Fußball spielen. Dort wird dann mit einer Jacke oder einem Rucksack ein Tor abgesteckt und werden Leute zusammengesucht, die dann spielen. Es kommen Leute an und fragen ob sie mitspielen können. Es ist etwas, was Leute zusammenbringt und was auch Spaß macht. Man ist viel an der frischen Luft und hat gemeinsam Erfolgserlebnisse.
Kommen wir nun zu einer schwierigen Frage. Du bist jahrzehntelang ins Volksparkstadion gegangen, hast dort Fußball geschaut und gehst nun nicht mehr in den Volkspark. Warum gehst du nicht mehr ins Stadion?
Das ist ein wahnsinnig schwieriges Thema. Es ist auch ein Thema, das mich noch immer sehr beschäftigt. Und wo ich noch immer versuche zu verstehen, was genau eigentlich alles mit mir passiert ist. Wie du schon sagtest, ich bin wirklich lange Zeit in den Volkspark gegangen. Mal unregelmäßiger, mal regelmäßiger. Ich bin Auswärts gefahren. Habe damit aber erst relativ spät angefangen, war dafür dann aber sehr intensiv dabei. Ich war beim Relegationsspiel in Fürth, was für mich nach wie vor die schlimmste Auswärtsfahrt meines Lebens gewesen ist. Mit dieser Ungewissheit mit der man dorthin gefahren ist. Und dann kam die Diskussion über die Ausgliederung der Profiabteilung wieder hoch. In dieser Diskussion war sehr viel Gift, was nicht nur von einer Seite ausging, so fair muss man sein. Jedoch war sehr schnell klar: Da sind zwei Seiten, die nicht aufeinander zukommen können. Auch wenn es vorher schon Gräben in der Fanschaft gegeben hat, was völlig normal ist, das gibt es in jedem Verein, das gibt es in jedem Club, wurden diese Gräben immer größer. Und auf einmal habe ich gemerkt, wie ich mich vom all dem, was da passiert, distanziere. Es ist total schwer in Worte zu fassen. Als dann von der großen Mehrheit der anwesenden Mitgliedschaft beschlossen wurde, dass ausgegliedert wird, habe ich in Moment als das Ergebnis verkündet wurde das Stadion, wo die Mitgliederversammlung stattgefunden hat, verlassen und bin, unter anderem ja auch mit dir, gegangen. Ich glaube wir waren alle ziemlich mitgenommen von dem, was dort passiert ist und wie die Umstände waren.
Ich habe mir dann erstmal gedacht: Okay, jetzt ist Sommerpause. Ich muss erstmal alles verdauen und wenn ich dann wieder ins Stadion gehe wird schon wieder alles gut sein. Als ich dann am ersten Spieltag wieder im Stadion war habe ich gemerkt, dass ohne das Zutun der Chosen Few Hamburg, die als eine große treibende Kraft für die Stimmung verantwortlich waren und wo ich gerne mitgemacht und mitgetragen habe, das Stadion eigentlich tot war. Und da hat dann schon mal ganz viel gefehlt. Unabhängig davon sind Personalentscheidungen im Clubgefüge getroffen worden, mit denen ich nicht einverstanden war. Es gab immer mehr handelnde Personen, sowohl auf als auch neben dem Platz, mit denen ich nichts anfangen kann, die mir sogar unsympathisch sind. Da bin ich ins Grübeln gekommen. Ich hatte immer weniger Lust ins Stadion zu gehen. Früher war da immer eine große Freude, egal wie schlecht der vorherige Spieltag war, es ging ins Stadion und alles war super. Da hat mir dann doch einiges gefehlt und für sehr viel Konfusion gesorgt. Auf einmal fing ich an nicht mehr ins Stadion zu gehen. Habe Ausreden gesucht nicht hinzugehen oder mir andere Verabredungen gesucht habe. Dann habe ich meine Dauerkarte weggegeben.
Ich vermisste wie es vorher war. Eine innere Leere war da. Ich schob es zunächst eine gewissen Müdigkeit, weil die Vorsaison durch das viele Reisen und das Zittern bis zum letzten Moment total kräftezehrend war. Aber das war es irgendwie nicht. Ich versucht es in meinem Blog aufzuschreiben. Was mich bewegt, was mich umtreibt. Aber richtig in Worte fassen kann ich es noch immer nicht.
Es fühlte sich nicht mehr richtig an?
Ne. Ich merke einfach, dass gewisse Dinge fehlen und nicht mehr da sind. Ich habe schon fast Phantomschmerzen. Und ich bewundere jeden, der gegen diese Ausglieder war und auch dagegen gestimmt hat und trotzdem noch ins Stadion gehen und dort Spaß haben kann. [Tim denkt kurz nach.] Bruno Labbadia. Nein! Geht nicht.
Richtig anfühlen tut es sich für dich ja eher woanders? Oder ist dem auch nicht so? Oder ist das eher eine Art Methadon, ein Versuch etwas anders zu machen?
Momentan ist es eher so, dass mir vieles grundsätzlich in diesem Bundesligazirkus gegen den Strich geht. Jede Kleinigkeit wird medial so hochgepusht. Es werden sich Dinge selber zurechtgezüchtet, um sie am Ende dann bestätigen zu können. Diese mediale Übertreibung geht mir doch sehr auf den Senkel. Ich habe momentan einfach mehr Freude daran zum Amateursport zu gehen. Unter anderem gehe ich zum HFC Falke, auf den du ja auch gerade angespielt hast. Ich gehe da gerne hin. Da sind viele Leute, die ich kenne. Es macht einfach Spaß da. Dort ist wirklich jeder willkommen. Und um einmal ein Plädoyer für den Verein zu machen: Dort sind nicht nur ehemalige oder noch aktuelle HSV-Fans beim HFC Falke. Das ist wirklich ein buntes Sammelbecken für Fußball-Fans aus ganz Hamburg. Dort gehen auch Leute hin, die sonst eher zum Stadtteil, Altona, Hamm United oder Barmbek-Uhlenhorst gehen. Dort ist wirklich jeder willkommen. Aber natürlich ist eine gewisse Nähe zum HSV gegeben und das nicht nur örtlich, da der HFC Falke im Stadion von SC Union 03 spielt, welches direkt am Diebsteich ist und dicht am Volkspark ist. Es macht einfach Spaß.
Ansonsten gehe ich noch zum SV Wilhelmsburg. Ich wohne in Wilhelmsburg und der Platz ist gleich ums Eck. Es macht Spaß dort hinzugehen. Das ist aber nicht der einzige Club in Wilhelmsburg. Rot-Weiß Wilhelmsburg oder den ESV Einheit, die gibt es auch schon ewig. Das sind Vereine in die ich mir in nächster Zeit angucken werde. Das kommt mir momentan ein bisschen – das klingt total doof – ehrlicher vor. Das Verhalten auf und neben dem Platz unterscheidet sich kaum zu dem in der großen Arena. Trotzdem ist es anders.
Eine abschließende Frage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir dich irgendwann wieder im Volkspark sehen werden?
Solange es das Volksparkstadion von Herrn Kühnes Gnaden ist, sprich in den nächsten vier Jahren, werde ich nicht reingehen. Ich halte gar nichts von ihm. Ich finde diesen Menschen furchtbar. Ich das was er macht furchtbar. Ich finde wie er sich äußert furchtbar. Und das werde ich nicht unterstützen. Die Antwort für die nächsten vier Jahre lautet also Nein. Was danach ist kann ich nicht sagen. Vielleicht habe ich in zwei Jahren auch ganz große Sehnsucht, aber dieses eine Prinzip will ich schon durchziehen.
Vielen Dank für das Interview.
Tim betreibt den Blog nurderTim, ist auf Twitter als @nurdertim unterwegs und fotografiert seine leeren Essensteller auf instagram.
Mit Fußball-Menschen möchte ich euch Menschen vorstellen, die den Fußball lieben und euch ihre Geschichten erzählen.
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